Baukultur im ländlichen Raum in Baden-Württemberg

Forschungsthemen

„Eine gute, sensible und integrierte Gestaltung unseres Lebensumfelds ist ein kultureller Akt, der wirtschaftliche, soziale wie auch ökologische Nachhaltigkeit ermöglichen und fördern kann. Baukultur – gedacht und praktiziert in seinem ganzheitlichen Ansatz – ist die Basis für Lebensqualität, sozialen Zusammenhalt und langfristigen ökonomischen Mehrwert.“

Prof. Dr. Martina Baum

Baukultur wird bislang als die Summe aller menschlichen Tätigkeiten verstanden, die unsere gestaltete Umwelt weiter verändern. Hierzu zählen der Gebäudebestand, die Infrastrukturen, die gestalteten Freiräume im Siedlungskontext aber ebenso auch die Kulturlandschaften. Eine rein menschenzentrierte Planung und Praxis muss aufgrund zukünftiger globaler Herausforderungen in diesem Ansatz erweitert werden um die dringend notwendigen Perspektiven der Fauna und Flora. Diese sollten integriert gedacht und in ganzheitliche, resiliente Transformationsstrategien unserer gebauten Umwelt überführt werden.

In den gebauten Strukturen wie auch den immer intensiver genutzten Landschaftsräumen lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein zunehmender Verlust von lokalem Wissen, Erfahrungen und nachhaltigem Umgang mit Ressourcen feststellen: Baukultur als holistischer Ansatz ist verschwunden. Regionaltypische Bauweisen, Gestaltung und Bewirtschaftung sind generischen Strukturen und Handlungsweisen gewichen, die weder auf lokale Besonderheiten noch zukünftigen Herausforderungen konkret Bezug nehmen, sondern vor allem durch den Einsatz von Öl erst ermöglicht wurden. Das Bauen wurde in einem falsch verstandenen Sinne einer Moderne trivialisiert. Die aktuelle Planungspraxis führt aufgrund mangelnder gestalterischer Werte und ganzheitlichen Perspektiven zu massiven Folgen für Menschen, Fauna und Flora. Das fachliche Wissen der Planung wird als störend wahrgenommen und nicht als Chance begriffen für ein auf allen Ebenen nachhaltiges Handeln im Raum.

In allen Landstrichen und Klimazonen der Welt haben die Menschen ausgehend von den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und lokalen Bedingungen immer besondere und spezifische Bautypologien und Bauweisen hervorgebracht. Nachhaltigkeit – mittlerweile nicht mehr als Füllwort verstanden, sondern nun in seiner immensen Bedeutung und Verpflichtung – war dieser Art des Bauens inhärent eingeschrieben. So war eine große Vielfalt an nachhaltiger Baukultur über den ganzen Globus entstanden, die insbesondere auch in Baden-Württemberg die Umwelt intensiv geprägt hat. Diese vielfältige Baukultur wurde gerade in den letzten 30 Jahren nicht mehr als Chance und Potenzial gesehen und somit vielerorts nicht in und für eine nachhaltige Zukunft weiterentwickelt. Fehlende gestalterische Werte, mangelndes Interesse an nachhaltigen Bau- und Bewirtschaftungsweisen und die Reduktion des Wissens um Architektur, Landschaftsplanung und Städtebau auf eine Dienstleistung der Bau- und Landwirtschaft führen zu einer Banalisierung und Uniformität mit langfristigen Folgen nicht nur für eine regionale Identität, sondern unserer Grundlagen des Zusammenlebens, unserer Umwelt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage was eine gute Baukultur beitragen und wie sie genau gefasst werden kann. Bezüge in die Vergangenheit sind hierbei eine wertevolle Wissensbasis. Ein einfaches Weiterschreiben historischer Elemente scheint aber durch die davon völlig losgelöste Entwicklung der letzten Jahrzehnte nur wenig zielführend. Vielmehr sollte auf Grundlage der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen einzelner Regionen eine neue Haltung zur Baukultur entwickelt werden.

Die Studie zu „Baukultur im ländlichen Raum in Baden-Württemberg“ stellt dazu explizit die Räume außerhalb der klassischen Verdichtungsräume in den Fokus. Sie soll dabei nicht nur eine Bestandsaufnahme kartieren, sondern zu einer Erweiterung des Wissens um und eines Verständnisses für regionale Baukultur im Ländlichen Raum Baden-Württembergs beitragen. Gerade auch im Sinne eines forschenden Entwerfens sollen ihre Entwicklungschancen aufgezeigt werden und in die Öffentlichkeit getragen werden.

Forschungsprojekt der Universität Stuttgart
SI Städtebau-Institut
Lehrstuhl für Stadtplanung und Entwerfen
Prof. Dr. Martina Baum, Philipp Deilmann, Ann-Kathrin Ludwig, Richard Königsdorfer
Laufzeit 2021 – 2023
Zuwendung durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
Abteilung Ländlicher Raum, Geoinformation, Landentwicklung