Habitando Cosechas

Entwürfe

Temporäre Humansiedlungen in Huelva, Spanien.

 

Habitando ist ein spanisches Wort, das vom lateinischen Verb ‘habitare’ häufigste Form von habere ‚haben, halten, besitzen‘ abstammt. Doch, habitando kann auf sehr unterschiedliche Weise verstanden werden: dwelling, wohnen, living, leben, inhabiting, bewohnen, appropriating, feeling, bauen, usw. Darüber nachzudenken, was dieser Begriff bedeutet und unsere eigene Definition an einem konkreten Ort dafür zu finden, wird ein grundlegender Teil dieses Entwurfsstudios sein.

 

Cosechas sind die Früchte und das Gemüse, die man anbaut und erntet. Cosecha wird sowohl für den Prozess der Landbewirtschaftung als auch für das, was man als Ergebnis erhält, verwendet. Sich bewusst zu machen, was die Ernte für unser Ökosystem, unsere Wirtschaft und unsere soziale Struktur bedeutet, ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

 

Der Standort des Studios befindet sich in der Nähe der Gemeinde Lepe in Huelva, im Süden Spaniens. In den letzten Jahren sind in diesem Gebiet parallel zum exponentiellen Wachstum der Monokultur temporäre Humansiedlungen entstanden, weil die Arbeiter*innen saisonal zur Ernte kommen. Der Höhepunkt des Zuzugs liegt zwischen Januar und Mai, zeitgleich mit der Beerenernte. Beeren erfordern eine große Anzahl von Arbeiter*innen, da die Früchte von Hand gepflückt werden müssen und sehr empfindlich sind.

 

Infolge des intensiven Zustroms von Menschen sind in diesem Gebiet verschiedene informelle und formelle Lösungen für die Unterbringung von Saisonarbeiter*innen entstanden. Deshalb gibt es verschiedene nicht geplante und geplante Siedlungen. Diese Unterkünfte und Siedlungen unterziehen wir einer intensiven Untersuchung als Basis für neue Entwurfsansätze in Städtebau und Architektur.

 

Das Ziel des Studios war es, gemeinsam einen Vorschlag für eine temporäre Siedlung auf einem definierten Grundstück zu entwerfen. Es sollte ein realistisches, standortspezifisches und robustes Projekt entstehen, in dem die verschiedenen Realitäten nebeneinander bestehen und das Know-how und die vor Ort entdeckten Möglichkeiten umgesetzt werden konnten.

 

Besonderer Dank gilt den ‘habitantes‘ Fatima, Salim, Osman, Ana und Youssef; dem Stadtrat von Lepe; dem multikulturellen Verein von Mazagon und ASNUCI; den Unternehmen Lepeplas, Polisur und Flor de Doñana; dem Technologiezentrum der Agrarindustrie ADESVA und der Stiftung United Way Spanien für die finanzielle Unterstützung.

 

Foto: Alba Balmaseda Dominguez

Kontext

Grundstück

Impressionen aus dem Studio

Skizzen

Arbeiten der Studierenden

Der intensive Anbau von Beeren und insbesondere von Erdbeeren in der südspanischen Region Huelva ist ein eindrucksvolles Beispiel für das globale System der Massenproduktion, das auf der Ausbeutung von Arbeitnehmenden und Umwelt beruht. Der fehlende Schutz der Rechte von Wanderarbeitenden führt zu einer alarmierenden sozialen Situation der Saisonarbeitenden, die nicht nur mit der Dürre und der Umweltverschmutzung zu kämpfen haben, unter denen die Region ohnehin leidet, sondern auch in selbstgebauten Lagern aus Abfällen verharren müssen.

 

Dieses Phänomen findet seinen räumlichen Ausdruck in Form des Chabolismo, der als Reaktion auf dieses nachteilige politische und wirtschaftliche System betrachtet werden kann. Auch wenn es bemerkenswert intelligente architektonische Lösungen und urbane Strukturen gibt, ist die Wohnsituation dennoch prekär. Das Projekt zielt darauf ab, ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Die Analyse dieser komplexen Siedlungen und

der Versuch, ihre Systeme zu abstrahieren, bildeten die Grundlage unseres Entwurfsprozesses, während wir gleichzeitig unsere eigene Haltung als Planende ständig hinterfragten.

 

Für Saisonarbeiter*innen und Migranten*innen, die keinen festen physischen Lebensraum haben, ist der Begriff Heimat eher ein relationales als ein räumliches Phänomen. Daher steht die Stärkung der Vernetzung und Gemeinschaftsbildung unserer Habitantes im Mittelpunkt unseres Entwurfs. Indem wir Architektur nicht als Produkt, sondern als einen Prozess mit offenem Ausgang betrachten, schafft das Projekt Raum für das Ungeplante. Ein wichtiges Ziel ist daher die Integration potenzieller Wachstums- und Umbauprozesse unter Beibehaltung wichtiger räumlicher Qualitäten wie Innenhöfe, Gemeinschaftsräume und Zugänglichkeit.

 

Unter Berücksichtigung des architektonischen Diskurses über strukturalistische Ansätze entwickelte das Projekt eine eigene Perspektive auf diese Bewegung, die sich auf die Beziehung zwischen Menschen und einer Struktur konzentriert, die Ausdruck sozialer und funktionaler Zusammenhänge ist. Dieser ganzheitliche und transskalare Ansatz betrachtet sowohl die einzelnen Elemente als auch den gesamten Organismus. Der Fokus liegt nicht nur auf den Komponenten selbst, sondern auf deren Beziehung zueinander, die auch dann erhalten bleibt, wenn diese ausgetauscht werden.

 

In der Tradition von Denkern wie Herman Hertzberger haben wir eine spezifische Architektur entworfen, die eher ein Möglichkeitsraum ist, der mit Inhalt, Werten und Bedeutung gefüllt werden kann, als eine endgültige Form.  Angesichts dieser robusten Struktur mit langer Lebensdauer kann sie mit den sich ständig verändernden Lebenszyklen der Habitantes belebt werden. All dies geschieht in einem dialektischen Prozess zwischen der Struktur und den Habitantes, zwischen Konstantem und Variablem. Die Architektur bietet den Nutzenden konkrete räumliche Optionen und Inputs und fördert so einen Prozess der Aneignung, anstatt nur flexible Räume zu implizieren, die möglicherweise nie einer bestimmten Nutzung dienen. Gleichzeitig schaffen diese Qualitäten eine Vielfalt an polyvalenten Räumen, die lebendig werden können. Durch die sorgfältige Platzierung der Struktur auf dem Gelände in Übereinstimmung mit der Topografie, den klimatischen Bedingungen und den lokalen Ressourcen fördert diese das Zusammenleben zwischen Menschen, Flora und Fauna. Die Architektur mit ihrem geringen Platzbedarf sowie die Materialwahl, die das Denken in Lebenszyklen einbezieht, tragen dazu bei. So werden auch die lokalen Arbeitskräfte berücksichtigt und den Bewohnern die Möglichkeit gegeben, sich am Bauprozess zu beteiligen.

 

Durch das Upcycling von anfallenden Kunststoffabfällen besteht die Möglichkeit, die lokale Landwirtschaft mit den Bauprozessen zu verbinden und diesem Material eine neue Wertigkeit zu geben. Gleichzeitig garantiert der modulare Grundriss das Minimum für alle Habitantes: Sicherheit, ein Bett und Stauraum. Darüber hinaus haben alle Zugang zu Gemeinschaftsräumen und die Möglichkeit, den Raum zu erweitern, anzupassen und umzugestalten.

Giuliana Fronte, Luis Frisch, Leo Ritter, Kim Bache, Isabella Patricolo

Lehrteam

Prof. Dr. Martina Baum

Alba Balmaseda Dominguez

Harry Leuter

 

 

Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen
Prof. Dr. Martina Baum