Urbane Symbiosen

Entwürfe

Zukunftsvisionen an der Schnittstelle von Landwirtschaft und Gewerbe, Produktion und Wohnen, Stadt und Land

 

In diesem Entwurfssemester machten wir uns auf die Suche nach neuen Paradigmen für produktive Quartiere, beschäftigten uns mit der Wechselwirkung von Landwirtschaft, Gewerbe und Wohnen, um innovative Lösungen für reale Herausforderungen zu entwickeln.

 

Die Stadtregion Stuttgart ist einerseits geprägt durch eng vernetzte Siedlungsflächen mit vielfältigen Produktionsstandorten und andererseits weitläufige Frei- und Erholungsräume mit gleichzeitig oft intensiver landwirtschaftlicher Nutzung. Um diese spezifische stadträumliche Struktur nachhaltig weiterzuentwickeln, muss auf Grund der Flächenkonkurrenzen und Wohnraummangel über neue Möglichkeiten der Kombination, Überlagerung, Verdichtung und Veränderung der unterschiedlichen Funktionen nachgedacht werden.

 

Das Rahmenthema für den Entwurf bildete die nutzungsgemischte Produktive Stadt, die sowohl in der neuen Leipzig Charta als auch der IBA 2027 – der Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart – eine wichtige Rolle spielt. Noch fehlt es an mutigen Visionen und Vorbildern, die bestehende Konflikte lösen und widerstrebende Interessen versöhnen helfen.

 

Der Entwurf wurde in Kooperation mit der Stadt Fellbach durchgeführt – diese entwickelt im Rahmen der IBA 2027 auf einem 110 Hektar großen Gebiet das Projekt „Agriculture meets Manufacturing“. Hier treffen an der Schnittstelle zu Stuttgart Wohnen, Landwirtschaft und Gewerbe räumlich direkt aufeinander und es besteht somit die Chance wichtige Fragen zu thematisieren: Welche Rolle wird die stadtnahe Versorgung in Zukunft spielen? Wie können wir gleichermaßen lebenswerte und produktive Quartiere schaffen? Kann eine neue, urbane Form der Landwirtschaft das Grüne in das Grau der Gewerbegebiete bringen? Und welchen konkreten Mehrwert hat dies für die Stadt Fellbach, die gesamte Region Stuttgart und darüber hinaus?

 

 

Luftbild Entwurfsgebiet: © Stadt Fellbach

Gäste digitale Diskussionsrunde:

Frank Gwildis: Amt für Stadtplanung und Wohnen, Stuttgart

Gerhard Hauber: Ramboll, Studio Dreiseitl

Mark Zahran: Yasai, Zürich

Prof. Dr. Andreas Ulbrich: Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur, Hochschule Osnabrück

Gastkritik:

Prof. Sonja Nagel, IRGE, Universität Stuttgart

Prof. Ulrike Böhm, SI, Freiraumgestaltung, Universität Stuttgart

Ulrich Dilger, Abteilungsleiter Stadtentwicklung, Stadt Fellbach

Entwurfsgebiet

Impressionen aus dem Studio

Arbeiten der Studierenden

Claire Oswald

 

Acker der Zukunft

 

Im Fellbacher Westen stoßen Stuttgart und Fellbach aufeinander. Dabei wird die Grünzäsur immer weiter zurückgedrängt und ergibt sich dem Wachstumsdruck der

Gewerbegebiete und dem Flächendrang der Landwirtschaft, die ohnehin durch wachsende

hat. Flurgrenzen haben sich über die Generationen entwickelt oder wurden nach Nutzung

willkürlich gezogen. Sie sind nicht direkt sichtbar, äußern sich jedoch durch räumlich ausgeprägte Grenzstrukturen. Besonders deutlich ist dieser Unterschied zwischen den Flurstücken der landwirtschaftlich genutzten Flächen und denen der Gewerbeflächen. Durch die Analyse der Grenzen ist das Bewusstsein für dreidemensionale Grenzräume gewachsen. Sie zeigen ein Raumpotential auf, das wenig Beachtung in der heutigen Gesellschaft findet. Mit dem Entwurf ACKER DER ZUKUNFT soll ein visionäres Zukunftsbild aufgezeigt werden, wie die aggressive Grenzausbildung durch eine Symbiose mit der urbanen Landwirtschaft neu entworfen wird.

 

Das Quartier soll Impulsgeber und Pilotprojekt für eine neue Sichtweise der Stadtlandschaft sein. Durch die Symbiose mit dem III. Akteur, die Landwirtschaft der Zukunft, soll der Bestand aktiviert und belebt werden. Die Unternehmen vor Ort werden durch ein neues grünes Netzwerk miteinander verbunden und erfahren eine Bereicherung durch die Interaktion im Grenzraum sowie neuen Freiraum. Die gewachsene Struktur gliedert sich in unterschiedliche Nutzungsbereiche, die durch den Weg der Landwirtschaft entstanden sind. Die konkreten Nutzungen unterteilen sich in:

– experimentelle Anbauflächen auf Dächern, kleinen Räumen und hohen Elementen

– Transportwege auf Stegen

– Logistikzentrum in einem brachliegenden Bestandsgebäude mit Lagerhalle, Verwaltung und Vertrieb

– Dachcafé mit Mittagstisch für die Mitarbeiter der ansässigen Unternehmen

– Informationszentrum mit Lehrgarten für die Öffentlichkeit

Durch dieses Projekt soll auch das Bewusstsein für den Anbau regionaler Lebensmittel angeregt werden und mit welcher Mühe wie sie angebaut werden.

Christian Nopitsch

 

Grenzräume – gemeinsam handeln!

 

Im Fellbacher Gewerbegebiet kommt es zu einem Konflikt zwischen den Wachstumsdruck des Gewerbes und der Zurückdrängung der Landwirtschaft. Eine Lösung dieses Konfliktes ist das Erkennen von Flächenpotentialen im Bestand, um den Flächendruck von einer weiteren Expansion des Gewerbegebietes zu nehmen. Zum Schaffen von Raum rückten Grenzen in den Fokus der Forschung. Sie weisen große ungenutzte Raumpotentiale auf. Der zentral im Gewerbegebiet gelegene Block ist sehr von den verschiedensten Grenzen geprägt. Die Fläche besteht aus vielen Flurstücken von unterschiedlichen Eigentümern. Der Block ist geprägt von großen Parkierungsflächen, einer offenen Bebauung mit einfachen Gewerbebauten unterschiedlicher Größen und einer geringen Bebauungsdichte.

 

An den Grenzen brechen sich die Interessen der Grenzparteien. Sie müssen an solchen Standorten die vielfältigsten Aufgaben erfüllen. Warum also nicht die Grenzen als Raum sehen und nutzbar machen? Der entstehende Raum trägt dem Wachstum des Gewerbestandortes Rechnung. Die Grenze bleibt keine lineare Abtrennung zweier Parteien, sondern wird gedacht als ein nutzbarer Raum, der einen wertvollen Beitrag zur Bereitstellung von neuen Flächenpotentialen an wachsenden Gewerbestandorten liefert.

Dafür werden drei Typologien an Grenzräumen erkannt, die repetitiv in Gewerbegebieten auftreten. Dadurch können typologische Antworten gefunden werden, die auch in anderen Kontexten anwendbar sind. Diese drei Typologien sind der Zwischenraum, der Hinterraum und der Nebenraum.

Clara Pflug und Jona Schulte

 

Landwirtschaftliche Stadt – Städtische Landwirtschaft

 

Die Vision eines Miteinanders von landwirtschaftlicher Produktion und alltäglichem Leben in einem Baukörper wurde in diesem Entwurf auf dem Iba-Gelände Fellbach getestet. Raumsparend und trotzdem platzschaffend soll der Baukörper dem Flächendruck im Wohnungsmarkt, in der Landwirtschaft und auf der Grünzäsur einen Lösungsansatz entgegenkommen. Auf den 1900m2 sollen ca. 80 Bewohner untergebracht werden und

ein landwirtschaftlicher Ertrag, dem eines 1900m2  großen Feldes entsprechend, geerntet werden können. Das Gebäude hat 4 Geschosse.

 

Die Nutzungen im Gebäude sind heterogen angeordnet. Zu den Bewohnern und landwirtschaftlichen Flächen gesellen sich Flächen für soziale Angebote, wie ein Vereinsheim und ein Veranstaltungsraum. Hierdurch werden Kommunikationsräume für die

verschiedenen Akteure geschaffen. Eine gemeinsame Erschließung im Gebäude fördert dies zusätzlich. Das Angebot an Wohnungen ist ebenso divers und reicht von großen Maisonettewohnungen, über kleinen Einheiten in Clusterzusammenschlüssen und barrierefreien 2-Zimmer Wohnungen.

 

Der landwirtschaftliche Anbau ist im ganzen Baukörper präsent. Ob in Hochbeeten oder in einem angeschlossenen Vertical Farming, für Besucher und Bewohner ist er immer sichtbar. Die Flächen sorgen für eine Begrünung und Auflockerung im Gebäude. Die Freiflächen um das Gebäude sind unterschiedlich bepflanzt, um hier verschiedene Anbaumethoden testen zu können. Dieses Flächen richtet sich nicht nur an die Landwirte, sondern können auch teilweise von Bewohnern genutzt werden.

Lehrteam

Prof. Dr. Martina Baum
Harry Leuter
Ksenija Zujeva

 

 

Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen
Prof. Dr. Martina Baum,