Unplanning the Planned – Madrid

Entwürfe

Madrid ist mit mehr als sieben Millionen Einwohner*innen eine der faszinierendsten Metropolregionen Europas. In den letzten hundert Jahren haben lokale Politik, Verwaltung und Planung eine breite Palette zur Lösung des Stadtwachstums und der Wohnraumfrage entwickelt, die mit unterschiedlichem Erfolg bis zum heutigen Tag die Stadt in ihrem Zusammenleben prägen. Die jüngeren Stadtentwicklungsgebiete zeigen jedoch die Grenzen der klassischen Planungsinstrumente auf und verdeutlichen, dass die ökologischen und sozialräumlichen Konflikte maßstabsübergreifend andere Zugänge einfordern, die den Eigenlogiken des Ortes, der Natur, der Kultur nachhaltig Rechnung tragen.

 

An unserem Entwurfsort trifft die jüngste großmaßstäbliche Stadterweiterung, die in Madrid als PAU (Proyectos de Actuación Urbanística) bezeichnet werden, auf eine lineare informelle Siedlung, die sich entlang einer traditionellen Viehroute – der ‚Cañada Real Galiana‘ – entwickelt hat. Diese Route ist Teil eines Netzes von Viehtransportwegen, die seit 1273 den Norden und den Süden der Iberischen Halbinsel miteinander verbinden. Diese Viehkorridore mit einer ursprünglichen Breite von 72 Meter wurden 1975 zum Allgemeingut erklärt, um die Flächen und ihre ursprüngliche Funktion langfristig zu sichern. An den Rändern ist es allerdings möglich, kleine provisorische Gebäude zu errichten, um den Wanderhirten Unterschlupf zu gewähren. Dieses „Baurecht“ wurde aber dahingehend ausgenutzt, dass im Einzugsbereich der Städte die Korridore dauerhaft mit Häusern bebaut wurden.

 

Wir arbeiten im Entwurfsstudio in einem Raum, in dem das Geplante auf das Ungeplante trifft, wo das Landwirtschaftliche und das Städtische koexistieren, wo periphere Infrastruktur sich in den Landschaftsraum einschreibt; ein Raum, der sich als Laboratorium für die Komplexität städtischer Entwicklungen präsentiert. Im Verständnis der Inter-Disziplin Städtebau und mit unseren entwerferischen maßstabsübergreifenden Werkzeugen wollen wir die formellen wie auch die informellen städtischen und landschaftlichen Logiken ergründen und der bloßen Koexistenz von Strukturen räumliche Strategien entgegenzusetzen, die eine resiliente Kohabitation von Menschen mit Flora und Fauna ermöglichen.

 

Der Entwurf erfolgte über das Semester hinweg in engem Austausch mit Studierenden des Entwurfsstudios von Prof. Luis Basabe und Prof. Luis Palacios der ETSAM Madrid.

 

 

Impressionen von der Exkursion

Impressionen aus dem Studio

Gäste: Luis Basabe und Luis Palacios, Christian Salewski und Simon Kretz, Paola Viganò

Arbeiten der Studierenden

Lucas Apfelbacher und Kim Bache

 

Villagisation

 

Unser Vorschlag basiert auf der Idee, eine neue, bessere und nachhaltige Art des Zusammenlebens zu schaffen. Wir sind der Meinung, dass es in der Nähe des Zentrums von Madrid bessere Orte gibt, um die versprochene Anzahl von Wohnungen zu bauen. Deshalb werden in El Cañaveral alle zukünftigen Bauvorhaben gestoppt und wir kümmern uns nur um die bestehenden Gebäude. Um diesem Teil der Stadt mehr Qualität zu verleihen, werden wir ein „Dehesa“-Ökosystem wieder einführen, das an dieser Stelle seit dem 13. Jahrhundert als Steineichenwald von Vallecas existierte. Das geplante Projekt sollte eigentlich eine Stadt werden, doch die Bebauungsdichte ist so gering, dass wir unser Projekt „Villagisation“ nennen. Durch „villagizing“ erreichen wir eine Vielzahl von Vorteilen für die Menschen, sowie Flora und Fauna. Wir identifizierten räumlichen Potenziale des Standorts und haben das bebaute Territorium in kleinere Dörfer aufgeteilt. Wir verbinden die Bewohner*innen wieder mit ihrem Territorium, indem wir gemeinschaftlich genutzte „Huertas“ anbieten, die Gemeinschaft und ökologische Sensibilisierung schaffen. Die neu geschaffene, produktive Landschaft bietet ein enormes wirtschaftliches Potenzial und eine bereichernde Lebensweise in Koexistenz mit Schafen, Hühnern und Schweinen. Dabei geht es nicht nur um den landwirtschaftlichen Aspekt, sondern auch um die Entwicklung nachhaltiger, lokal erzeugter Produkte auf natürlicher Basis. Daher schlagen wir Forschungs- und Produktionseinrichtungen vor, um vorhandenes und neu geschaffenes Wissen über die „Dehesa“ und ihre Produkte wie iberische Marmelade, Wolle und Korkprodukte zu vermitteln. Die überdimensionierten Alleen werden als Raum für Dorfkerne genutzt, in denen soziale, produktive, kommunale und marktbezogene Einrichtungen zu finden sind. Das Erdgeschoss der höheren Gebäude wird für landwirtschaftliche und kommunale Zwecke genutzt. Die Straßen werden „unplanned“. Einige von ihnen bieten Platz für die neue Gebäudeinfrastruktur, einige für die neuen Mobilitätskonzepte, andere werden für die Wassergewinnung genutzt und die meisten von ihnen werden entfernt.

Juliane Eichinger and Laura Junginger

 

Hidden Values

 

In der Umgebung der Cañada Real gibt es viele großartige Orte und Wege. Leider sind die meisten von ihnen hinter Mauern oder Zäunen versteckt. Es ist nicht viel nötig, um sie für die Öffentlichkeit zu öffnen und sie in attraktive Orte zu verwandeln, die verschiedene Möglichkeiten der Zusammenkunft bieten. Um die Cañada Real, El Cañaveral sowie die Planung von Los Cerros gleichwertig zu behandeln, sollten die Veränderungen so minimal wie möglich ausfallen. Um die Plätze zu aktivieren, müssen sie identifiziert und analysiert werden, damit die bereits vorhandenen Werte im Rahmen einer behutsamen Behandlung gestärkt werden können. Durch die Bereitstellung dieser kleineren Räume erhalten die Bewohner die Möglichkeit, sie sich anzueignen. Daher sollten die Instrumente zur Bereitstellung dieser Räume zur Verfügung gestellt werden, z. B. das Öffnen von Mauern, das Anlegen von Wegen oder die Restaurierung von Gebäuden. Dabei soll die Aneignung ein Prozess der Menschen sein, der offen für Veränderungen ist, um den Bedürfnissen der Bewohner zu entsprechen. Die Aushandlung der Nutzung, die Verbindung zu diesen Orten sowie die Interaktion in diesen Bereichen sollten die drei Parteien zusammenbringen und eine belebte Nachbarschaft mit einer aufgeschlossenen Haltung zueinander schaffen.
Um diese Ziele zu erreichen, schlagen wir eine langfristige Strategie vor, die aus drei Schritten besteht. Der erste Schritt besteht darin, die bereits vorhandenen Elemente an den Orten zu identifizieren und umzuwandeln, die für die Einleitung eines Beteiligungsprozesses erforderlich sind. Diese „Initiatoren“ sollen Interesse wecken, zeigen, was mit minimalen Eingriffen möglich ist, und Akzeptanz für den weiteren Prozess schaffen. Anschließend kann der Prozess der „Initiatoren“ auf ähnliche Orte übertragen werden, so dass sie die bereits entwickelten Situationen nachahmen. Langfristig wäre der letzte Schritt eine Ausbreitung dieser Orte auf die Straße der Cañada Real und ihre Umwandlung in Räume, die die verschiedenen Orte miteinander verbinden, um einen öffentlichen Weg zu schaffen, der die verschiedenen Bereiche in menschlichem Maßstab miteinander verbindet.

Elzbieta Kmita and Lisa Lerche

 

Symbiosis: Connection Through Typology

 

Die Verdichtung, die Nutzung unbebauter Flächen und die Erhaltung bestehender Gebäude sowie die Schaffung von Stadtvierteln mit unterschiedlichem Charakter sind die Kernaspekte des Projekts „Symbiose“. Der Begriff Typologie bezieht sich auf die Untersuchung von Typen und Klassifizierungen sowie auf die Aspekte von Gebäuden oder städtischen Standorten in Bezug auf ihre Nutzung. Die Morphologie wiederum klassifiziert die Gebäude nach ihrer Form und Gestalt. Das Ziel des Projekts ist es, einen fließenden Übergang zwischen Canada, El Canaveral und Los Cerros zu schaffen, indem verschiedene Typologien und Morphologien in verschiedenen Teilen des Viertels miteinander verbunden werden. Das Projekt führt unterschiedliche Typologien auf den verschiedenen Ebenen des Stadtgebiets, der Nachbarschaft, des Gebäudes und der einzelnen Einheit ein. Durch das „Unplanning“ der geplanten Entwicklung des Geländes wir ein neues Erscheinungsbild und eine neue Atmosphäre des Ortes geschaffen. Entsprechend der form- und nutzungsbasierten Klassifizierung sowie der differenzierten Dichte wird das Viertel in fünf Bereiche mit jeweils eigenen Merkmalen und Funktionen gegliedert. Die Gebiete sind nach Qualitäten wie Gebäudehöhe und -breite, Hofgrößen, Abstände der Gebäude zueinander und zur Straße, Landschaftsmerkmale, Straßennetz, öffentlicher Raum usw. gruppiert.

Annabelle Schneider and Lisanne Triebold

 

Fusionar Lo Existente

 

Die moderne Art, Städtebau zu betreiben, respektiert oft nicht den Kontext des Ortes und folgt nur der Zweckmäßigkeit und Einfachheit einer Rasterstadt. Genau das ist in El Cañaveral der Fall, das an den seit langem bestehenden Viehtriebweg und heutige informelle Siedlung Cañada Real angeschlossen ist. Auf der anderen Seite der informellen Siedlung ist ein vergleichbares Gebiet namens Los Cerros geplant. Um diesem Trend entgegenzuwirken, wollen wir mit unserem Projekt den modernen Städtebau kritisieren. Um einen Austausch zwischen den Bewohnern der Cañada Real und el Cañaveral zu schaffen, wollen wir das Geplante von Los Cerros „entplanen“ („unplan“). Deshalb war es uns wichtig, uns auf die organischen, bestehenden Strukturen zu konzentrieren, anstatt auf das strenge Raster von el Cañaveral und los Cerros. Da die vorhandenen Wege von den Menschen angelegt wurden und diese für die Topographie und die Nutzung die sinnvollsten Routen gehen, haben wir beschlossen, diese Wege als Grundstruktur beizubehalten. Der natürlichste Teil des bebauten Gebiets ist die Cañada Real. Daher haben wir beschlossen, ihre Struktur als Grundlage für die neue städtebauliche Struktur zu nehmen. Die so entstandenen Blöcke schaffen die Voraussetzungen für das Wachstum einer Gemeinschaft. Die inneren Teile sind Freiräume, die je nach Bewertungskriterien unterschiedlich genutzt werden. Außerdem werden die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass alle Bewohner*innen des Gebietes das gleiche Recht auf Freiraum haben und dieses Recht auch wahrnehmen können.

Lehrteam

Vertr. Prof. Markus Vogl

Alba Balmaseda Dominguéz

Harry Leuter

 

Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen

Prof. Dr. Martina Baum