Meine Stadt, Mein Zuhause

Entwürfe

Grenzen, Schwellen, Übergänge

 

Schwellen — auch als Metapher für die heutige Zeit — sind der Ausgangspunkt unserer Diskussion über die städtebauliche Dimension des Wohnens.

 

Die aktuelle Lage schafft eine neue Dimension der Nähe und der Distanz, der Dichte und der Beengtheit. Es wird deutlich, welche Möglichkeiten des öffentlichen Raums in all seinen Facetten nicht mehr Teil unseres Alltagslebens sind. Wir betrachten und fühlen die Stadt jetzt viel mehr aus dem Inneren unserer Wohnräume heraus. Die Schwellensituationen — Fenster, Balkone, Loggien, Dachterrassen, aber auch Treppenräume und Eingänge — werden verstärkt zu Orten der Aneignung und des sozialen Austausches.

 

Neben den konzeptionellen Überlegungen zu den Schwellenräumen beschäftigen wir uns mit der Frage wie wir zukünftig zusammenleben wollen. Wie viel Raum brauchen wir als privaten Raum? Was können wir teilen? Welche Rolle spielt der öffentliche Raum?

 

Das Studio „Meine Stadt, mein Zuhause“ ist weder ein klassischer Architekturentwurf noch ein klassischer Städtebauentwurf. Wir sind zusammen dem Rahmenthema auf der Spur und sammeln, testen, evaluieren Ideen, Konzepte und räumliche Aspekte.

 

Die Studierenden formulieren in Absprache mit dem Lehrteam ihren eigenen Entwurfsschwerpunkt und Vertiefungsmaßstab. Wir ermöglichen das Entwerfen über alle Maßstäbe hinweg.

Entwurfsorte

Impressionen aus dem digital-analogen Studio

Arbeiten der Studierenden

Jeremy West

Im WOHNEN spiegelt sich unser Verhältnis zur Gesellschaft. Begriffe wie Individualität und Identität lassen sich auf die Frage wie wir Wohnen zurückführen.

Vom raschen Bevölkerungszuwachs der Städte vorangetrieben und von pragmatischen Prinzipien neuer Bautechnologie dirigiert, wird der GENERISCHE RAUM zum erfolgreichen Massenprodukt unserer Zeit. Er begünstigt das Ausleben eines zeitgenössischen Individualismus, die Beschäftigung mit dem Selbst. So wird das Bauen und Bewohnen zur Trendfrage und beschränkt sich heute auf die eindimensionale Ebene der Möblierung, Dekoration, Oberfläche. Wir verdanken diesen Zustand auch dem Anspruch der Moderne, die das Wohnen vom Arbeiten zu trennen, gar als widersprüchliche Tätigkeitsorte zu betrachten wusste. Obwohl Produktivität und Regeneration heute wieder am selben Ort denkbar sind, bleibt Wohnraum nicht zuletzt wegen wachsender Mobilität und Vernetzung ein austauschbares Gehäuse.

Diesem entgegen steht der SPEZIFISCHE RAUM als architektonische Urform. Als gebauter Ort beruht seine Existenz auf dem Prinzip der Tektonik, spricht mit Symbolen von seiner Verortung, den Geschichten seiner Erbauer und Bewohner. Heute wird der spezifische Raum als abstraktes Konzept verstanden und auf einen Formalismus reduziert. Wir vergessen dabei sein enormes Potenzial zur Stimulierung von Identitäts- und Gemeinschaftssinn, welches aus seiner starken Bindung an Ort und Zeit hervorgeht. Doch vor allem für die Befriedigung sozialer und kultureller Bedürfnisse, die über die Beschäftigung mit dem Selbst hinausgehen, ist er unabdingbar.

Die Arbeit hinterfragt die Vernachlässigung der spezifischen Architektur und bietet sie als identitätsstiftenden Ort der sozialen Interaktion an. Das MITEINANDER von generischem und spezifischem Raum, kann unseren Wunsch sowohl nach Individualität als auch Identität vereinen. Die Wohnfrage muss sich zwangsläufig der notwendigen Balance beider Modelle widmen, und eine neue Baukultur als konkrete Verräumlichung dieser Konzepte verstehen.

Dalya Ortak

Ausgangspunkt meiner Überlegungen war meine eigene Situation während des Lockdowns mit dem einseitigen Erleben des Öffentlichen aus dem Privaten heraus. Wir wurden zurückgeworfen auf unseren privaten Raum und somit auf das was wir per se als die eigenen vier Wände bezeichnen. Wie wenig Zeit ich tatsächlich unter normalen Umständen in meiner Wohnung verbringe, wurde mir erst durch diese Situation bewusst. Für mich ergaben sich daher folgende Fragen: wie viel privaten Wohnraum benötige ich tatsächlich? Wofür gebe ich mein Geld aus? Und wie nutze ich meinen Wohnraum in dieser Situation?

Die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verwischen und das Wohnen findet nicht mehr nur in der privaten Sphäre statt. Es dehnt sich aus und findet den Hochpunkt im kollektiven Zusammenleben des Schwellenraums – zwischen Privat und Öffentlich. Nach Jan Gehl fördern genau diese notwendigen Aktivitäten (wie bspw. Schlafen, Essen, Hygiene) Begegnungen und stellen die Basis für das Entstehen von sozialen Kontakten dar. Zudem ermöglicht das Teilen der ausgelagerten Wohnfunktionen, dem Bewohner die Möglichkeit nur für den Raum zu zahlen, den er tatsächlich als sein Zuhause definieren wird. Die Einpersonenhaushalte werden zu einem Haushalt zusammengeschlossen, welcher sich über das gesamte Gebäude zu einem Gemeinwesen hin entwickeln wird.

Dieses Verschwimmen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum wird durch das Weglassen einer umhüllenden Fassade in der typischen Form von Außenwänden betont. Es gibt keine räumliche Trennung des Haushaltes zum Stadtraum hin. Somit ist das dort stattfindende Leben vom öffentlichen Raum her einfach erschließbar und sichtbar. Während die Plattformen gleichmäßig oben abschließen und sich in der Höhe an die bestehende Bebauung anpassen, treten die Grundfunktionen als Solitäre aus der oberen Ebene heraus.

Das Wohnen findet in dem „Dazwischen“ statt, im direkten Kontakt mit dem Stadtraum. Die Bewohner werden dadurch integrativer Bestandteil der Stadtgesellschaft.

 

Julius Lutterbüse und Philipp Deilmann

Neue und saubere Technologien ermöglichen es uns Infrastrukturen zurück in die Stadt zu bringen. Diese Strukturen werden dadurch nicht nur wahrnehmbar, sondern sollten auch so gestaltet werden, dass sich ein sozialer und räumlicher Mehrwert für den spezifischen Ort ergeben kann. Die aktuelle Diskussion beläuft sich leider häufig auf sogenannte smarte Anwendungen, die Nachhaltigkeit und technische Innovationen in unser zu Hause und damit in unsere Städte bringen. Antworten aufdrängende soziale, ökologische und räumliche Fragen können diese Anwendungen jedoch nicht liefern. Die soziale und ökologische Frage wird unser Zuhause wie wir es heute kennen in Zukunft maßgeblich bestimmen.

 

Unsere Strategie den eben beschriebenen Phänomenen zu begegnen läuft darauf hinaus, neue infrastrukturelle Technologien zu etablieren und den großzügig vorhandenen Raum im Stuttgarter Stadtteil Hallschlag in Orte zu transformieren, die Identifikation ermöglichen, die in der Lage sind auf unterschiedlichen Ebenen mit ihren Bewohnern zu kommunizieren. Die von uns eingebrachten Strukturen sind spezifisch auf den Ort zugeschnitten und diskutieren in unterschiedlichen Maßstäben eine sozial und ökologisch verträgliche Produktion, damit die Menschen den Hallschlag als Ihren Kiez, als Ihr Viertel wahrnehmen, indem sie Verantwortung übernehmen, in dem eine aktive Bürger*innengesellschaft den Stadtteil prägt. Die eingebrachten Interventionen sollen am Beispiel des Hallschlags aufzeigen, wie wir unsere Städte in Zukunft ganzheitlich verändern können.

Lehrteam

Prof. Dr. Martina Baum
Alba Balmaseda Domínguez
Ksenija Zujeva

Alexander Richert

 

Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen
Prof. Dr. Martina Baum

 

In Kollaboration mit
Walter Gropius Lehrstuhl (UBA,FADU – DAAD)
Facultad de Arquitectura, Diseño y Urbanismo
Universidad de Buenos Aires
Prof. tit. Markus Vogl