Exrotag
EntwürfeIm Südwesten von Karlsruhe zwischen Daxlanden,Oberreut, Rheinstetten, Beiertheim-Bulach, der Süd-weststadt,Weststadt und Mühlburg liegt der 1668 gegründete und 1909 in Karlsruhe eingemeindete Stadtteil Grünwinkel. Der stark gewachsene Stadtteil teilt sich heute in Alt-Grünwinkel, Hardecksiedlung,Albsiedlung und die Alte sowie Neue Heidenstückersiedlung. Eine heterogene Nutzungsmischung ausWohnen, Kultur und Gewerbe kennzeichnen den Ort. In unmittelbarer Nähe zum Westbahnhof zwischen Zeppelinstraße im Norden, Hardeckstraße im Osten, Stulzstraße im Süden und dem Areal des Briefverteilzentrums der Deutschen Post im Westen befindet sich im Gewerbegebiet Grünwinkel das rund drei Hektargroße Areal der Alten Tabakfabrik (ROTAG). Das Areal ist gekennzeichnet durch ein Konglomerat an unterschiedlichen Gebäuden, die zwischen 1910 und 1999 erbaut wurden. Der Zustand der Gebäude ist bemerkenswert „original“, was jedoch auch bedeutet, dass hier seit Jahren keine Unterhalt getätigt wurde. 1910 bis 1911 erbaute die 1838 gegründete Firma Billing & Zoller AG für Bau- und Kunsttischlerei auf dem Grundstück ihr neues Firmenareal. Für die Herstellung von Fensterrahmen, Bau- und Kunsttischlerarbeiten, Möbeln und Beschlägen wurden nach Plänen des Karlsruher Architekten Bernhard Josef Braun ein Fabrikgebäude mit markanter Sheddachhalle, die als Beitrag der architektonischen Moderne des 20. Jahrhunderts gezählt werden kann, sowie ein zweigeschossiges historisierendes Verwaltungsgebäude mit Wohnungen (Direktorenvilla) errichtet. Diese beiden Bauwerke stehen heute unter Denkmalschutz. Durch den Ersten Weltkrieg verzeichnete Billing & Zoller große wirtschaftliche Einbußen, Aufträge mussten zurückgestellt werden und die Bauindustrie ging weitgehend zurück. Ab 1933 wurde das Areal durch die Rohtabakvergärungs- A.G. (ROTAG) zur Einlagerung und weiteren Verarbeitung von Rohtabak genutzt. Nach verschiedenen Firmenübernahmen und Fusionen ist ROTAG des Areals erweiterte ROTAG den Gebäudebestand im Laufe der Jahre um diverse Produktions- und Lagergebäude. Das auffälligste Bauwerk davon ist eine 80 Meter lange, sechsstöckige Fermentierungshalle, die 1960 fertiggestellt wurde und den Abschluss des Areals nach Südwesten bildet. Entworfen vom Architekturbüro Backhaus und Brosinsky, zählte die Halle damals zu den größten Bauwerken dieser Art in Karlsruhe. Nach Südosten wurde 1999 noch eine Leichtbauhalle an das Fabrikgebäude angebaut. Die Produktion in Grünwinkel wurde 2018 eingestellt und konnte Mitte 2019 von der städtische Tochtergesellschaft Karlsruher Fächer GmbH & Co. Stadtentwicklungs-KG erworben werden.
Unter dem Aspekt des kleinstmöglichen Eingriffs soll der öffentliche Raum sukzessive aufgewertet und die Belebung des Gewerbegebiets unter Beachtung der Anforderung der geplanten Nutzungen vorangetrieben und, wo möglich, nachverdichtet werden. Mit einer verkehrlichen Neuordnung und dadruch mögliche Flächenentsiegelung können ökologische Korridore und Durchgrünung des Gebiets erreicht werden. Eine besondere Bedeutung kommt der Aufwertung des Westbahnhof- Areals und der Schaffung einer neuen Quartiersmitte zu. Die neuen Orte sind unter den Gesichtspunkten der Kohabitation, des Wassermanagements, der Energiegewinnung und der Anpassung des Klimas entstehen. Die Sanierungsziele sind als Grundlage der Entwurfsarbeit zu betrachten und kontinuierlich zu überprüfen. Es sollen Projekte entstehen, welche umsetzbar und realisierbar sein können.
Kontext
Arbeiten der Studierenden
Amelie Hamann und Sophie Hagist
„WERKGASSEN“
Das Herzstück des Entwurfs bilden die Werkgassen, die sich als verbindende Achsen durch das gesamte Areal ziehen. Im Mittelpunkt steht die behutsame Weiterentwicklung des Bestands, wobei der markante Charakter des Ortes durch gezielte, punktuelle Ergänzungen subtil gestärkt wird. Das ROTAG-Areal, geprägt von einer heterogenen Struktur und vielfältigem Potenzial, entfaltet durch maßvolle und präzise Eingriffe seine volle Wirkung. Kleine, durchdachte Interventionen betonen die industrielle Prägung des Ortes und lassen im Innen- wie im Außenraum spannende, vielseitige Raumkonstellationen entstehen. Die besondere Stärke liegt in der sensiblen Transformation im kleinen Maßstab.
Martin Meyer und Oskar Kasatkin
„Handwerk erleben“
Um dem Handwerk in Karlsruhe als Kleinstgewerbe eine zukunftsorientierte Perspektive zu bieten und zugleich neuen AkteurInnen den Einstieg in diese Branche zu erleichtern, bedarf es eines Ortes, der passgenau auf die vielfältigen Anforderungen unterschiedlicher Handwerksdisziplinen zugeschnitten ist. Ziel ist es, die Einstiegshürden zu senken und einen niederschwelligen Zugang zum Handwerk zu schaffen. Durch einen genossenschaftlichen Ansatz, soll ein Raum entstehen, in dem Menschen auf Amateur- oder semiprofessioneller Ebene in verschiedenen handwerklichen Bereichen Erfahrungen sammeln und Projekte realisieren können. Hierfür werden flexibel nutzbare Produktions- und Lagerflächen mit entsprechender Ausstattung angeboten, um auch temporärere Projekte wirtschaftlich umzusetzen.
Um das ROTAG-Areal als Begegnungsort für die breite Öffentlichkeit zu etablieren, greift das Konzept das Thema „Essen“ als verbindendes und gemeinschaftsförderndes Element auf: In der Shedhalle wird die Herstellung und der Vertrieb von Lebensmitteln ermöglicht, während die Direktorenvilla im Erdgeschoss eine kooperative Gastronomie integriert, die durch eine vertikal ausgerichtete Küchenstruktur ergänzt wird. Die oberen Geschosse bieten Raum für administrative Funktionen sowie flexible Unterkünfte, die besonders für externe Projektbeteiligte konzipiert sind, um vor Ort an ihren Vorhaben arbeiten zu können.
Julia Maus und Rouven Düppius
„an.kom.men“
Im städtebaulichen Sinne wird das Ankommen als ein Prozess der räumlichen und sozialen Integration verstanden. Es ist als eine Bewegung durch verschiedene Sequenzen zu betrachten. Es ist eine Erfahrung, die über die physische Präsenz hinausgeht und eine Verbindung mit dem urbanen Raum schafft. An(ge)kommen bedeutet, Teil davon zu sein, im städtebaulichen Kontext, nicht nur für sich.
Das Projekt widmet sich „des Ankommens“ und zielt darauf ab, dessen Bedeutung zu hinterfragen und den Blick auf den bewussten Umgang des Weges zu lenken. Es handelt sich um eine vielschichtige Erfahrung, die sowohl physische als auch emotionale Ebenen berührt. In einer Gesellschaft, die sich oft nur auf das Ziel fokussiert, geraten die Nuancen des Weges in den Hintergrund. Die Arbeit setzt hier an, indem sie dazu anregt, das Bewusstsein für das Ankommen zu schärfen und neue Perspektiven auf die Reise selbst zu eröffnen. Es ist ein Aufruf zur Reflexion, ein Innehalten, um die Bedeutung des Unterwegsseins genauso zu würdigen wie das Erreichen des Ziels.
Lehrteam SuE
Prof. Dr. Martina Baum
Vertr. Prof. Markus Vogl
Julia Berger
Nicole Ottmann
Lehrteam IBK
Prof. Jens Ludloff
Patrick Sander
Lehrstuhl Städtebau und Entwerfen
Prof. Dr. Martina Baum